Montag, 18. Juli 2016

Der Körper des Betrachters in der Kunst

Auguste Rodin – Die Bürger von Calais


Auguste Rodin war ein Bildhauer und Zeichner, mit dem das Zeitalter der modernen Plastik
und Skulptur begann. Er wurde auch als moderner Michelangelo bezeichnet und das nicht, weil
seine Figuren ein antikes Aussehen hatten, sondern wegen der Ausdrucksstärke seiner Kunstwerke.
In seiner Skulptur „Die Bürger von Calais“ wird eine Figurengruppe dargestellt, bei der jede einzelne Figur einen individuellen Gesichtsausdruck und Körper besitzt. Die dargestellten Gesichter sind nicht idealisiert, sondern ganz individuell und nach einem menschlichen Vorbild modelliert.
Der historische Hintergrund:
Die Stadt Calais wurde im Mittelalter von den Engländern umzingelt. England gelang aber die Eroberung nicht und sie wollten die Bevölkerung aushungern lassen, um sie dann auszurauben.
Der König von England machte schließlich den Bürgern das Angebot sie überleben zu lassen, wenn sich ihm sechs Männer ergeben. Diese sollten aus vornehmen Familien stammen und mit Büßergewändern, einem Strick um den Hals und dem Schlüssel der Stadt vor ihn treten. Da die Frau des Königs von diesem Anblick so gerührt war, bat sie die Männer gehen zu lassen, was der König auch erlaubte.
Rodin wurde später vom Magistrat von Calais beauftragt für diese heldenhaften Bürger ein Denkmal herzustellen.
Den Bildhauer hat aber nicht der Heldenmut der Männer interessiert, sondern die unterschiedlichen Körper- und Gesichtsausdrücke kurz vor dem Tod.
Der alte Mann in der Mitte wirkt gelassen mit stoischer Ruhe, als hätte er schon mit dem Leben abgeschlossen. Der Schlüsselträger ist aufrecht und wirkt stolz und ungebrochen. Links macht ein Mann eine Handbewegung, als würde er fluchen und argumentieren, denn er hat sich noch nicht mit den Ereignissen abgefunden. Ein anderer Mann hält sich die Augen zu und weigert sich damit die Realität zu sehen und will sie nicht zulassen. Mit dem Kopf in den Händen steht ein weiterer Mann da. Er sieht aus, als würde er gleich schreien oder weinen, da er seine Verzweiflung kaum aushalten kann.
So hat Rodin die verschiedenen Reaktionen auf den bevorstehenden Tod untersucht. Dabei ist die Todesursache nicht relevant. Er wollte die Mimik und Gestik so deutlich darstellen, dass sich jeder darin wiedererkennen kann. Um dem Betrachter noch mehr Identifikationsmöglichkeit zu geben, hat Rodin einen sehr niedrigen Sockel gefertigt. So sind die Figuren auf Augenhöhe und stehen auf dem selben Boden wie der Betrachter und sind nicht hervorgehoben.
Dem Künstler war es viel bedeutender, als die historische Begebenheit zu illustrieren, dass elementare Gefühlsregungen wiedergegeben werden.
Durch die dynamische spiralförmige Anordnung entsteht eine Allansichtigkeit. Der Betrachter wird folglich dazu aufgefordert aktiv zu werden und das Denkmal von allen Seiten zu betrachten.

Carl André – Installation 144 Stahlplatten


Das Kunstwerk ist der konkreten Kunst und Minimal Art zuzuordnen, was eine Gegenbewegung zum abstrakten Expressionismus darstellt. Das Werk ist eine Fläche auf dem Boden, die aus einzelnen industriell hergestellten Stahlplatten besteht. Dabei sind alle Platten gleich groß und nahezu nahtlos aneinander gesetzt. Sie sind aber trotzdem individuell unterschiedlich, da der Stahl verschieden angefangen hat zu oxidieren. So sind teilweise Verfärbungen wie Rostränder entstanden. Es ist ein plastisches Kunstwerk, das nicht frei im Raum steht, sondern den ganzen Raum in Beschlag nimmt → Es ist eine Installation.
Die Platten liegen mitten im Gang wodurch an den Seiten nur wenig Platz zum Vorbeigehen bleibt.
Das bringt den Betrachter dazu, vor dem Kunstwerk zu reagieren. Dabei stellt sich die Frage, ob man auch über die Platten gehen darf. Es ist tatsächlich von Carl André gewollt, dass die Besucher seine Installation betreten. Sie sind körperlich dazu eingeladen ein Teil des Kunstwerkes zu werden. Durch das Betreten geht die Aura auf den Betrachter über. Er wir von ihr umfangen und fühlt sich als etwas besonderes, weil er in den virtuell definierten Raum der Platten eintritt und selbst aktiv wird.

Wolfgang Flatz – Installation Body Check


Bei diesem Kunstwerk des östereicher Aktionskünstlers Wolfgang Flatz, handelt es sich um Sandsäcke, die in einem Durchgang aufgehängt wurden.
Der Betrachter wird in dieser Installation zum Handelnden, denn er muss die Säcke beiseite schieben, um in den nächsten Raum zu gelangen. Das löst einen Domino-Effekt aus, wobei dadurch auch anderer Besucher angerempelt und zur Seite geschoben werden können.
Das Interessante an dem Kunstwerk ist, dass man weder darunter oder darüber sehen kann, ob sich andere Menschen im Durchgang befinden. So kann man einen anderen Menschen mit einem Sandsack treffen, ohne jemanden zu sehen und führt so unbewusst einen unvorhersehbaren aggressiven Angriff aus.
Bei längerem Beobachten der Situation zeigen sich verschiedene Reaktionen der Personen. Die Leute sind z.B. verärgert, schieben die Säcke zurück, schimpfen oder schreien. Andere reagieren mit Angst und Panik. Die Situation wird dadurch immer aggressiver, denn im Schutz der Anonymität können die Besucher ihren Reaktionen und auch Emotionen freien Lauf lassen.
Die Situation eskaliert dabei unheimlich schnell und lässt sich auch auf das tägliche Leben übertragen. Man hat ständig mit solchen Situationen der Aggression und Anonymität – z.B. im Internet - zu tun.