Sonntag, 3. Juni 2018

Abramovic - Ulay II

Das ehemalige Künstlerpaar Marina Abramovic und Ulay hat von 1976 bis 1988 viele Performances zusammen erarbeitet und durchgeführt, in denen sie immer "Bilder" für den momentanen Zustand ihrer Beziehung gefunden haben. 

Eine bedeutende Performance, vor allem auch wenn man ihre Liebesgeschichte betrachtet, ist „Night Sea Crossing“. Dabei sitzen sich die beiden in einem Museumssaal an einem Tisch gegenüber. Wochenlang, täglich, von Beginn bis Ende der Öffnungszeiten, sitzen sie in den berühmtesten Museeen der Welt. Allerdings verhalten sie sich extrem passiv, d.h. sie bewegen sich nicht und reden auch nicht, sondern starren sich nur an. Die Besucher des Museums sehen die beiden und erwarten viellicht etwas, doch nichts passiert, sie sind wie zwei leblose Ausstellungsstücke. Die Performance geht sogar danach weiter, sie achten darauf dass sie außerhalb des Museums keiner sieht, sie reden nicht miteinander und fasten.
Man kann vermuten, dass die Kunstwelt genauso hohe Erwartungen wie die zwei Liebenden an ihre Beziehung hatte – beide wurden enttäuscht. Dadurch, dass Marina und Ulay ihre Liebe zum Thema ihrer Kunst machten und dadurch öffentlich auslebten, standen sie unter ständiger Beobachtung, sie galten sogar als das "Vorzeigepaar" schlechtin. Dem Druck der Erwartungen konnten sie auf Dauer jedoch nicht standhalten, und  sehr wahrscheinlich haben sie vergessen an ihrer Beziehung zu arbeiten und somit hat auch die Verliebtheit und die Liebe nachgelassen. Dies spiegelt sich auch in ihren Performances wider, denn diese enthielten mit der Zeit immer weniger Körperkontakt. 
Im Rückblick kann man Night Sea Crossing als Vorboten für das Ende der Beziehung bezeichnen, denn Ulay hat den körperlichen Druck des Dasitzens nicht mehr ausgehalten und ist aufgestanden und gegangen. 

Ihre letzte gemeinsame Performance, die sie 1988 gemacht haben, heißt „The Lovers“. Beide hatten sich von einem Ende der Chinesischen Mauer aufgemacht und liefen sich entgegen, um sich in der Mitte, die nicht genau definiert war, treffen zu können, dort eine chinesische Hochzeit zu feiern und somit ihre Liebe zu erneuern und die Beziehung zu retten. Allerdings, als die beiden sich nach Wochen tatsächlich getroffen haben, beschlossen sie, sich zu trennen, denn ihnen ist in der „Einsamkeit“ ihrer Wege klar geworden, dass es ihnen damit besser geht. Somit könnte man diese Performance auch als den Weg zur Trennung betrachten. 

2012 hat Marina Abramovic mit „The Artist Is Present“ eine Solo-Performance gestartet. Dabei wollte sie wahrscheinlich auf „Night Sea Crossing“ anspielen, denn sie saß an einem Tisch, einem leeren Stuhl gegenüber. Auf diesen leeren Stuhl durften sich die Museumsbesucher setzen. Dies wollten auch viele tun, denn es sammelte sich eine riesige Menschenmenge an die geduldig darauf wartete, auf diesem Stuhl, Marina Abramovic gegenüber, Platz nehmen zu können. Während die Menschen auf dem Stuhl sitzen und Marina in die Augen schauen, gehen ihnen tausende Gedanken durch den Kopf. Man sieht ihnen oft den Schmerz  und die Einsamkeit, die sie in diesem Moment fühlen, in Form von Tränen an. Die Menschen haben keinen anderen Rückzugsort als sich selbst und müssen mit ihren eigenen Gefühlen klar kommen. 
Irgendwann kommt Ulay und setzt sich auf den Stuhl. Dies ist das erste Mal nach ihrer Trennung, dass sie sich wiedersehen. In diesem Moment ist auch Marina zu Tränen gerührt und sie fängt an zu weinen. Nach einiger Zeit geben sie sich die Hände und plötzlich fangen alle Menschen, die im Museumsraum sind und vorher noch still waren, an zu klatschen. 

Allerdings ist Marina Abramovic nicht nur Performance-Künstlerin, sondern sie macht auch Objektkunst. 
Eines ihrer Kunstwerke heißt „Shoes for Departure“, was auf Deutsch übersetzt „Schuhe für die Abreise“ heißt. Schaut man sich das Kunstwerk allerdings etwas genauer an, stellt man fest, dass es unmöglich ist mit diesen Schuhen zu gehen. Sie sind übergroß und aus dem schweren Halbedelstein Amethyst gefertigt. Da es Marina wichtig ist, immer ein Teil ihrer Kunstwerke zu sein, hat sie den Rohstoff mit ihren eigenen Händen aus einem Bergwerk in Brasilien geschlagen. 
Mit ihrem Kunstwerk wollte sie den Betrachter zum Teil der Kunst machen, indem er in die kühlen und glatten Schuhe hineinschlüpfen kann. Allerdings kann man sich nicht bewegen und ist somit gefangen. 
Die Beine in Schrittstellung fixiert, den Blick auf die leere Wand gerichtet, kann die Reise eigentlich nur noch ins eigene Innere gehen.
 
Night Sea Crossing
The Lovers
The Artist Is Present
Shoes for Departure

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