„Ich kann keine Kunst mehr sehen“ lautet der Titel eines der
bekanntesten Werke des Performance-Künstlers Timm Ulrichs. Requisiten wie Blindenstock, Armbinde und Brille lassen den
Betrachter automatisch einen Sehbehinderten assoziieren. Der Grundbaustein für
Ulrichs Darstellung ist gelegt, aber den Kern seines Werks trägt der Blinde mit
einem Schild um den Hals: „Ich kann keine Kunst mehr sehen.“ Diese Botschaft
des Künstlers richtig zu deuten ist schwierig, weshalb es nur zu ambivalenten
Interpretationen kommt. (Die Kunst, die
ihm vermittelt wird, nicht mehr sehen oder erkennen können. Kunstwerke nicht
als Kunst anzusehen. Von der Kunst gelangweilt.)
Die Kunst der Performance
entstand in den sechziger und siebziger Jahren des 20. Jahrhunderts und
leitet sich vom Englischen „to perform“ (dt. darstellen) ab. Künstler malen
kein Bild und lassen es ausstellen, sondern führen eine Art Schauspiel, allerdings ohne Rollen und Texte auf. In meist einmalig stattfindende Aufführungen - nur mit wenigen, einfachen Requisiten -
vermittelt der Künstler eine Message an die anwesenden Zuschauer. Somit ist
die Performance eine vergängliche Kunstart, sie existiert nur im Moment der Aufführung für die anwesenden Zuschauer und kann später höchstens in Form von Fotos oder Filmaufnahmen erlebt werden. Manchmal bleiben auch Objekte oder Installationen, die in der Performance eine Rolle gespielt haben, wie im nachfolgenden Beispiel.
„Der Findling“ ist ein weiteres bedeutendes Werk Timm
Ulrichs. Hier besteht die Performance aus zwei Teilen. Die Vorarbeit wird durch einen in der Mitte geteilten Findling, der
geöffnet platziert wird, geleistet. Darinnen befindet sich die Negativform eines liegenden Körpers, die exakt nach den Maßen des Künstlers ausgehoben worden ist.
Nachdem sich der Künstler in die Vertiefung gelegt und ein Kran die obere Hälfte auf die untere des Steins positioniert hat,
folgt die eigentliche Performance, in der der Körper, der Timm Ulrichs selbst
ist, eine transformative Erfahrung
erlebt. Der Künstler ist ca. 10 Stunden gefangen, während das Publikum wartend
und schließlich staunend miterlebt, wie Ulrichs wieder aus dem Stein befreit wird.
Diese extreme Form der Performance erfordert physische und psychische Vorbereitung.
Durch Meditation, Atemübungen und Kontrolle des Schmerzempfindens hat sich der
Künstler auf Warnehmungsverluste, Abschottung und gesundheitliche
Beeinträchtigungen vorbereitet.
Die Gegenüberstellung von Leben und Tod, die Beschäftigung mit
der Vergänglichkeit zieht
sich wie ein roter Faden durch das Werk des Künstlers. In „Der Findling“ stellt der Stein Assoziationen zum
Tod her, einem in Stein eingebetteten Fossil, einem Sarkophag als Form des Grabes, jedoch gleichzeitig auch zum
Leben und der Geburt, da der Körper in Embryonalstellung im Stein liegt.
Was bleibt nach der Performance? Der Findling ist noch
heute an derselben Stelle in Nordhorn zu besichtigen. Jeder kann sich in die Vertiefung legen, oder sich zumindest vorstellen, wie es sein muss, in dem Stein eingeschlossen zu sein.
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