Dienstag, 24. Juni 2014

Alberto Giacometti



Der taumelnde Mann“/ >> L’Homme qui chavire << , 1950


Prozess der Herstellung: 

Modellieren: 
Die Grundform der Plastik wird aus Drähten zurechtgebogen. Weil die entstehende Drahtfigur kippen würde, befestigt man sie auf einer Plinthe, die nun als starke Basis fundiert. Nun wird an das Gerüst Gips, Ton oder Wachs zur Vollendung der Form angetragen. 

Bronzeguss:
Mit Hilfe der Originalfigur werden mehrere Gipsabdrücke erstellt, die zuerst auf ihrer Innenseite mit Wachs überzogen und anschließend zusammengesetzt werden. In der Mitte wird ein Hohlraum gelassen, damit Schamott (zerkleinerter, schon gebrannter Ton, der bei weiterem Brennen unverändert bleibt) eingefüllt werden kann. Auch der Platz um die Form herum wird in Schamott gebettet. Beim Erhitzen geht das Wachs in flüssigen Zustand über und es kann durch die an der Form angebrachten Gusskanäle ausgekippt werden. Während des Erhitzens sorgen kleine Nägel für einen unveränderten Halt der Schamotten, auch wenn das Wachs um sie herum nun entfernt wurde. In den neu geschaffenen Hohlraum kann nun, wieder durch die venenartigen Gusskanäle flüssiges Bronze gegossen werden. Dieser Schritt erfolgt von Unten nach Oben, denn nur so kann verhindert werden, dass sich im unteren Teil der Plastik Luftbläschen bilden. Im gegebenen Fall fungieren die Kanäle als Schornstein durch welchen die Luft problemlos entweichen kann. Nach dem Aushärten müssen nun noch die Einguss- und Entlüftungskanäle und eventuell der Schamott aus dem Inneren der Figur entfernt werden. Abschließend kann die Figur poliert werden, damit sie golden glänzt.

Analyse:
Die Proportionen der Figur sind nicht natürlich, der Kopf zu klein, Beine und Arme zu lang. Auch lässt sich nicht erkennen um welches Geschlecht es sich handelt, da die Figur so dünn ist, dass viele Details fehlen. Nur Füße, Becken und Schultern scheinen im Vergleich zum restlichen Körper kräftiger. Die Figur ähnelt insgesamt eher einem Strichmännchen.

Auch kann man bei der Figur nicht mehr von Volumen sprechen, sondern eher von einer Masse. Dies liegt daran, dass das Volumen der Figur vom Raum um sie herum verdrängt oder gar eingedrückt wird. Daher fällt sie aus dem Raum in das Nichts.

( Zum Verständnis:
Masse: bestehend aus Material
Volumen: gespannte Oberfläche, Möglichkeit zur Expansion )

Da der Schwerpunkt der Figur nun nicht mehr über dem Standpunkt liegt, gerät sie ins Taumeln. Auch die Arme scheinen sich auf einen Sturz vorzubereiten, sie sind ziellos vom Körper gestreckt und suchen Halt.
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Hintergrund:
Um Zugang zur Plastik finden zu können, muss man Giacomettis philosophische Haltung in Erfahrung bringen. Giacometti pflegte eine Freundschaft mit dem französischen Philosophen und Hauptvertreter des Existenzialsimus Jean-Paul Sartre.

Inhalt des Existenzialismus:
Im Existenzialismus steht der Konflikt „Sein“ und „Nicht sein“ im Vordergrund. Für Satre und die Existenzialisten dreht sich das Leben um diesen Unterschied. Für sie gilt es, für sich einen Sinn im ansonsten sinnlosen Universum zu finden. Denn Gott existiert nicht. Diese Einstellung hatte sich vor Allem durch historische Ereignisse entwickelt und entfalten. Satre musste beispielsweise beide Weltkriege miterleben, daraus resultierte für viele der damals lebenden Menschen die Frage, ob es denn überhaupt einen Gott geben könne, da sich derart viel Leid ereignet hatte. Also muss sich jeder selbst seinen Sinn suchen, muss aktiv werden und „sein“. Alles aus dem Leben rausholen , denn man verfügt höchstwahrscheinlich nur über dieses Eine.

Interpretation
Giacometti übernimmt diese Philosophie in seine Werke, wobei die Masse und das Volumen der Figuren für die Materie und das „Sein“ stehen, und der Raum, welcher diese Figuren verdrängt, für das „Nichts“.

In diesem Werk steht die Figur für die Existenz und der Raum repräsentiert die nicht-Existenz. Der Raum verkörpert etwas Bedrohliches, da er die Materie als Lebensgrundlage entziehen kann. Es findet ein Kampf zwischen den beiden statt und der Sieger steht fest, als der Mensch zu taumeln beginnt – ins Nichts. Er gibt auf, verliert seinen Halt im Sein und kippt in das Nicht-Sein. Seine eigenen Ängste und das eigene Versagen haben ihn schließlich überwältigt.

Drei Schreitende Männer“/>> Trois hommes qui marchent<< 1947


Analyse und Interpretation:
Diese Skulpturen stellen den Gegenentwurf zum „ taumelnden Mann“ dar. Die drei Menschen sind dem Taumelnden vom Aufbau her betrachtet zweifellos ähnlich. Auch sie müssen sich dem Raum ein Stück weit fügen. Der Unterschied ist allerdings, dass sie nicht fallen. Sie schreiten aufrecht, ohne zu stolpern. Jeder bewegt sich in eine andere Richtung, was bedeutet, dass jeder Einzelne seinen individuellen Weg, seine eigene Orientierung hat. Sie zeigen Aktivität. Abhängig vom Blickwinkel hat der Betrachter eine andere Figur im Profil. Dies kann als unterbewusste Aufforderung gedeutet werden. Man wird zum eigenen aktiv werden aufgefordert, denn der Betrachter muss sich bewegen, um jede der Figuren genau erkennen zu können.
Hier findet man den Existenzialismus in Bewegung wieder.

Protokoll: L.M. 1KU1 2013/14


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