„Der
taumelnde Mann“/ >> L’Homme qui chavire << , 1950
Prozess
der Herstellung:
Modellieren:
Die
Grundform der Plastik wird aus Drähten zurechtgebogen. Weil die
entstehende Drahtfigur kippen würde, befestigt man sie auf einer
Plinthe, die nun als starke Basis fundiert. Nun wird an das Gerüst
Gips, Ton oder Wachs zur Vollendung der Form angetragen.
Bronzeguss:
Mit Hilfe
der Originalfigur werden mehrere Gipsabdrücke erstellt, die zuerst
auf ihrer Innenseite mit Wachs überzogen und anschließend
zusammengesetzt werden. In der Mitte wird ein Hohlraum gelassen,
damit Schamott (zerkleinerter, schon gebrannter Ton, der bei weiterem
Brennen unverändert bleibt) eingefüllt werden kann. Auch der Platz
um die Form herum wird in Schamott gebettet. Beim Erhitzen geht das
Wachs in flüssigen Zustand über und es kann durch die an der Form
angebrachten Gusskanäle ausgekippt werden. Während des Erhitzens
sorgen kleine Nägel für einen unveränderten Halt der Schamotten,
auch wenn das Wachs um sie herum nun entfernt wurde. In den neu
geschaffenen Hohlraum kann nun, wieder durch die venenartigen
Gusskanäle flüssiges Bronze gegossen werden. Dieser Schritt erfolgt
von Unten nach Oben, denn nur so kann verhindert werden, dass sich im
unteren Teil der Plastik Luftbläschen bilden. Im gegebenen Fall
fungieren die Kanäle als Schornstein durch welchen die Luft
problemlos entweichen kann. Nach dem Aushärten müssen nun noch die
Einguss- und Entlüftungskanäle und eventuell der Schamott aus dem
Inneren der Figur entfernt werden. Abschließend kann die Figur
poliert werden, damit sie golden glänzt.
Analyse:
Die
Proportionen der Figur sind nicht natürlich, der Kopf zu klein,
Beine und Arme zu lang. Auch lässt sich nicht erkennen um welches
Geschlecht es sich handelt, da die Figur so dünn ist, dass viele
Details fehlen. Nur Füße, Becken und Schultern scheinen im
Vergleich zum restlichen Körper kräftiger. Die Figur ähnelt insgesamt eher einem
Strichmännchen.
Auch
kann man bei der Figur nicht mehr von Volumen sprechen, sondern eher
von einer Masse. Dies liegt daran, dass das Volumen der Figur vom Raum
um sie herum verdrängt oder gar eingedrückt wird. Daher fällt sie
aus dem Raum in das Nichts.
( Zum
Verständnis:
Masse:
bestehend aus Material
Volumen:
gespannte Oberfläche, Möglichkeit zur Expansion )
Da der
Schwerpunkt der Figur nun nicht mehr über dem Standpunkt liegt,
gerät sie ins Taumeln. Auch die Arme scheinen sich auf einen Sturz
vorzubereiten, sie sind ziellos vom Körper gestreckt und suchen
Halt.
.
Hintergrund:
Um
Zugang zur Plastik finden zu können, muss man Giacomettis
philosophische Haltung in Erfahrung bringen. Giacometti pflegte eine
Freundschaft mit dem französischen Philosophen und Hauptvertreter
des Existenzialsimus Jean-Paul Sartre.
Inhalt
des Existenzialismus:
Im
Existenzialismus steht der Konflikt „Sein“ und „Nicht sein“
im Vordergrund. Für Satre und die Existenzialisten dreht sich das
Leben um diesen Unterschied. Für sie gilt es, für sich einen Sinn
im ansonsten sinnlosen Universum zu finden. Denn Gott existiert
nicht. Diese Einstellung hatte sich vor Allem durch historische
Ereignisse entwickelt und entfalten. Satre musste beispielsweise
beide Weltkriege miterleben, daraus resultierte für viele der damals
lebenden Menschen die Frage, ob es denn überhaupt einen Gott geben
könne, da sich derart viel Leid ereignet hatte. Also muss sich jeder
selbst seinen Sinn suchen, muss aktiv werden und „sein“. Alles
aus dem Leben rausholen , denn man verfügt höchstwahrscheinlich nur
über dieses Eine.
Interpretation
Giacometti
übernimmt diese Philosophie in seine Werke, wobei die Masse und das
Volumen der Figuren für die Materie und das „Sein“ stehen, und der Raum, welcher
diese Figuren verdrängt, für das „Nichts“.
In
diesem Werk steht die Figur für die Existenz und der Raum
repräsentiert die nicht-Existenz. Der Raum verkörpert etwas Bedrohliches, da er die Materie als Lebensgrundlage entziehen kann.
Es findet ein Kampf zwischen den beiden statt und der Sieger steht
fest, als der Mensch zu taumeln beginnt – ins Nichts. Er gibt auf,
verliert seinen Halt im Sein und kippt in das Nicht-Sein. Seine
eigenen Ängste und das eigene Versagen haben ihn schließlich
überwältigt.
„Drei
Schreitende Männer“/>> Trois hommes qui marchent<<
1947
Analyse
und Interpretation:
Diese
Skulpturen stellen den Gegenentwurf zum „ taumelnden Mann“ dar.
Die drei Menschen sind dem Taumelnden vom Aufbau her betrachtet
zweifellos ähnlich. Auch sie müssen sich dem Raum ein Stück weit
fügen. Der Unterschied ist allerdings, dass sie nicht fallen. Sie
schreiten aufrecht, ohne zu stolpern. Jeder bewegt sich in eine
andere Richtung, was bedeutet, dass jeder Einzelne seinen
individuellen Weg, seine eigene Orientierung hat. Sie zeigen
Aktivität. Abhängig vom Blickwinkel hat der Betrachter eine andere
Figur im Profil. Dies kann als unterbewusste Aufforderung gedeutet
werden. Man wird zum eigenen aktiv werden aufgefordert, denn der
Betrachter muss sich bewegen, um jede der Figuren genau erkennen zu
können.
Hier
findet man den Existenzialismus in Bewegung wieder.
Protokoll: L.M. 1KU1 2013/14
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