Jacob
Marrell : Vanitas Stillleben mit Blumenstrauß, Geige und
Totenschädel (1637)
"Vanitas"
stammt aus dem Lateinischen und bedeutet Eitelkeit. Zu der Zeit als
dieses
Gemälde entstanden ist, war jener Begriff gleichbedeutend mit
"Wertlosigkeit" und "Vergänglichkeit",was durch
die symbolischen Bedeutungen der im Bild vorkommenden Motive
dargestellt werden soll.
Die Grundidee
des Vanitas-Stilllebens ist es nämlich den Menschen vor Augen zu
halten, dass aller irdischer Besitz vergänglich und wertlos ist.
Es kann also als
ein Appell verstanden werden die kurze Zeit, die dem Menschen auf der
Erde verbleibt zu nutzen und sich nicht an weltlichen Dingen
festzuhalten. Dies ist ganz im Sinne des Leitgedanken der zugehörigen
Epoche (Barock): "CARPE DIEM", welches in dem
Gemälde durch die zahlreichen sinnbildlichen Gegenstände
repräsentiert wird, die in der Mauernische angesammelt sind.
"Vanitas-Stillleben
können in unterschiedlichster Form auftreten. So malte der
Niederländer Abraham van Beyeren u.a. großartige Prunkstillleben,
in denen der ganze Reichtum des damaligen Holland sichtbar wird.
Voller Symbole steckt hingegen das 'Vanitas-Stillleben mit
Blumenstrauß, Geige und Totenschädel'." (Grundkurs Kunst 1,
S.48)
Diese sind am
leichtesten zu erkennen und zu verstehen, wenn man bei der
Betrachtung des Bildes systematisch vorgeht. Hier bietet es sich an
mit den vordergründigen Erscheinungen zu beginnen und sich dann
immer weiter in den Hintergrund hinein zu arbeiten.
Das Gemälde weist bei intensiver
Betrachtung also verschiedene, versteckte Botschaften, durch vom
Künstler gezielt eingesetzte Symbole auf: ( Reihenfolge nach
Auffälligkeit)
- Verwelkender Blumenstrauß: kurze Beständigkeit eines Menschenlebens, trotz seiner SchönheitBedeutung der verschiedenen Blumenarten:1.Weiße Madonnen-Lilie: Jungfräulichkeit, Unschuld, Reinheit2.Tulpen: Spekulation, Leichtsinnigkeit, Vergänglichkeit, Symbol der Niederlande3.Rosen: Liebe, Freude, Jugend
- Gläserne Blumenvase: "Zerbrechlichkeit" des menschlichen Lebens
- Geige und Notenbuch (Spiegelung in der Vase): Ablenkung der Menschen und Vergeudung begrenzter, kostbarer Zeit
- Totenkopf im Hintergrund: Erinnerung an die Sterblichkeit, trotz der Freuden des Lebens im Vordergrund, z.B.: Geige, Blumen etc.... Diese Gegenstände befinden sich in der Bildmitte und verkörpern somit die zentralen Aussagen des Gemäldes
- Pfeife und Tabak: Genuss, Verweis auf Geruchs- und Geschmackssinn
- verglimmende Lunte: unaufhaltsam verrinnende Lebenszeit des Menschen
- teilweise geschälte Zitrone: Verweis auf Geruchs- und Geschmackssinn
- Ring, Goldmedaille und -münzen: Wertlosigkeit weltlichen Ruhms und Reichtums
- Messer: Verletzlichkeit, Symbol der männlichen Sexualität
- Schreibfeder im Tintenfass: Symbol literarischen Ruhms (entfernte Möglichkeit einer Art "Unsterblichkeit", durch Würdigung geschaffener Werke in der Nachwelt, die jedoch nur den wenigsten Menschen zuteil wird)
- An Krümeln nagende Maus: Anspielung auf die Hungersnot und Epidemien im Dreißigjährigen Krieg (1618 – 1648)
- Eidechse: Symbol für das Böse(kleiner Drache)
- Libelle: früher für lebensbedrohlich giftig gehaltenes Insekt
- Schmetterling: Symbol der Reinkarnation und Unsterblichkeit
- Bücher unter dem Totenkopf: Auslöschen des Wissens nach dem Tod
- Engels-Putte mit Seifenblasen: Paradoxon, Zeichen der Flüchtigkeit irdischen Lebens
- Engels-Putte mit Sanduhr: verfließende Lebenszeit des Menschen
- Tötenköpfe hinter Engelsputten: Omnipräsenz des Todes, selbst bei religiösen Motiven
- Spiegelung in der Vase: Selbstportrait des Künstlers, Eitelkeit
Verbindung
der Vanitas-Symbolik mit der Thematik der fünf Sinne:
- Sehsinn: Blumenstrauß, Totenkopf und Bücher
- Gehör: Geige und Notenbuch
- Geruch: Blumenstrauß, Tabak und Zitrone
- Geschmack: Tabak und Zitrone
- Tastsinn: Geige, Goldmünzen
Hintergründe
und Interpretation des versteckten Selbstportraits:
Jacob
Marrell, der 1614 in Frankenthal als Sohn einer wohlhabenden
Familie geboren wurde, war der einzige Schüler Georg Flegels, der
ihn das Malen lehrte. Das durfte damals durchaus als Privileg
verstanden werden, weil zu dieser Zeit der Dreißigjährige Krieg
wütete.
Deshalb verschlug
es Marrell durch die dortige Entwicklung im Bereich der Stillleben in
die Niederlande nach Holland. Holland war die Hochburg eines strengen
Calvinismus, von dessen Anhängern gefordert wurde, allem Weltlichen
zutiefst zu misstrauen, ein streng moralisches Leben zu führen und
alle Vergnügen zu meiden. Hätte ein Künstler unter diesen
Umständen ein Selbstportrait von sich geschaffen, hätte man diesen
für eitel, stolz und narzisstisch gehalten, weil er sich selbst für
würdig genug befunden hätte, gemalt zu werden.
Dennoch wollte
Jacob Marrell sich in irgendeiner Form auf seinem Werk verewigen,
weshalb er sich dazu entschied ein Vanitas-Stillleben anzufertigen
und dabei genau den Anblick auf die Leinwand zu projizieren, der
sich ihm bot, was seine eigene Reflexion miteinschloss.
So konnte er die
Abbildung von sich selbst als eine Maßnahme präziser und
detailgetreuer Handwerkskunst rechtfertigen, ohne dabei eitel oder
stolz zu wirken. Es handelt sich also sozusagen um ein Bild im Bild.
Die
Vanitas- Philosophie:
Die
Vanitas-Philosophie ist eine Kombination aus dem mittelalterlichen
Mahnspruch "MEMENTO MORI" ("Bedenke, dass du
stirbst!") und dem barocken Leitgedanken "CARPE DIEM"
("Nutze den Tag!").
Zusammengefasst
heißt das: "Das
Leben ist schön, aber kurz, deshalb nutze und genieße es, bedenke
dabei jedoch stets die Folgen deiner Taten!"
Quellverzeichnis:
- Grundkurs Kunst 1 (Michael Klant, Annemarie Schulze-Weslarn, Josef Walch, Schroedel
- Meyers Enzyklopädisches Lexikon, Band 24
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