Montag, 16. Dezember 2013

Vanitas-Stillebens von Jacob Marrell (1637)


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Beschreibung und Interpretation von Bildern
  1. Bildbeschreibung
Grundsätzliches Vorgehen:
  • vom Vordergrund zum Hintergrund übergehen (→ der Beschreibung sollte eine Struktur zugrunde liegen)
  • markante Bestandteile (Größe, Farbe, etc.) sollten als Erstes genannt werden, da sie die zentralen Aspekte bilden und deshalb auch oftmals in der Bildmitte angeordnet sind
  • Ziel: Eine Person, der das Bild völlig unbekannt ist, sollte es sich so präzise und exakt wie möglich vorstellen können
Beschreibung des Vanitas-Stillebens (Blumenstrauß, Geige und Totenkopf) von Jacob Marrell, 1637.Öl auf Leinwand; 93x80cm; ‚Staatliche Kunsthalle, Karlsruhe:
  • Auf den ersten Blick lässt sich eine Vielzahl von Gegenständen erkennen, die beliebig verstreut wirken
  • Drei Gegenstände treten auffällig hervor: Ein Blumenstrauß in einer Glasvase, auf der sich eine Spiegelung erkennen lässt, in der linken Bildhälfte; ein Geige mit Geigenbogen in der rechten Bildhälfte; ein Totenkopf, der sich hinter der Geige befindet und auf Büchern liegt
→ insgesamt betrachtet nehmen diese die Bildmitte ein; sie sind also die zentralen Aspekte des Bildes, was auch durch die Bildunterschrift bestätigt wird
  • Die Beschreibung der restlichen Gegenstände erfolgt vom Vordergrund in den Hintergrund, wobei sich teilweise Gruppierungen unter ihnen erkennen lassen:
-Käse fressende Maus
-Messer neben einer halb abgeschälten Zitrone
-Eidechse
-Pfeife, Tabak und brennende Lunte
-Münzen (eine an Goldkette gebunden = Medaillon)
-aufgeschlagene Notenbuch
-Tintenfass mit Feder, Papierbogen, Siegelring und –wachs
-Insekten umgeben den Blumenstrauß (Schmetterling, Libelle)
-alle Gegenstände befinden sich in einer Nische, die auf den Seiten von Ornamenten eingefasst ist und auf deren oberen Rand zu beiden Seiten zwei Engelsstatuen zu sitzen scheinen, hinter denen jeweils ein weiterer Schädel angedeutet ist
(linker Engel: hält Sanduhr in der Hand; rechter Engel: produziert Seifenblasen → deuten aufgrund ihrer Nicht-Existenz auf tiefere Deutungsebene hin)
  • Spiegelung in der Glasvase:
Zu erkennen sind die Geige und das Notenbuch, ebenso wie der Maler, der vor einer Staffelei sitzt und vermutlich gerade am Stilleben tätig ist; außerdem der hinter ihm liegende Raum mit einem großen von Tageslicht durchfluteten Fenster und einer weiteren Person, die im Türrahmen steht
(Bild aus Sicht des Malers, der Maler wird aber ebenfalls beobachtet)
→Bild im Bild
→nicht nur Stilleben, sondern Szenerie mit Personen
  1. Interpretation
Bedeutungserklärung des Vanitas-Begriffs:
  • Eitel, Eitelkeit ( Spieglung auf Glasvase enthält ein Selbstporträt des Malers → Stolz)
  • Früherer Bedeutung von Eitel: leer, wertlos, vergänglich
  • Bedeutung des Vanitas-Begriffs im Stilleben: „Das lateinische Wort Vanitas bedeutet „Eitelkeit“. „Eitel“ war wiederum gleichzusetzen mit „leer“, „wertlos“ und „vergänglich“. Ein Vanitas-Stillleben verweist demnach darauf, daß die Schätze dieser Welt vor dem Hintergrund der Vergänglichkeit alles Irdischen nichts nutzen. Es will dazu auffordern, sich nicht an Diesseitiges zu klammern, sondern das ewige Leben zu bedenken.
Vanitas-Stilleben können in unterschiedlichster Form auftreten. So malte der Niederländer Abraham van Beyeren u.a. großartige Prunkstillleben, in denen der ganze Reichtum des damaligen Holland sichtbar wird (Abb. S. 49). Voller Symbole steckt dagegen das Vanitas-Stilleben mit Blumenstrauß, Geige und Totenschädel“ von Jacob Marrell (Abb. S. 48), dessen nähere Bedeutung Karl Ludwig Hofmann beschreibt.“ (Quelle: Grundkurs Kunst 1; Michael Kant, Annemarie Schulze-Weslam, Josef Walch; Schröder Schulbuchverlag; S. 48)
Vanitas-Symbolik der dargestellten Gegenstände:
-Notenbuch/Geige: Ton verklingt → Musik ist vergänglich
-Brennende Lunte: Brennt normalerweise komplett ab, Vorgang lässt sich nicht stoppen → Symbol für das Leben und das Ablaufen der Lebenszeit, das sich ebenfalls nicht verhindern/aufhalten lässt
-Rauchen (Tabak und Pfeife): Tabak zerfällt zu Asche
-Zitrone: Geruch ist flüchtig
-Glas (der Vase): Kann zerbrechen; außerdem Hohlkörper → Parallele zum Totenkopf
(Schädelsymbol)
-Sanduhr: Zeitfluss, unaufhaltsam
-Seifenblasen: Zerplatzen
-Kombination von Büchern und Totenschädel: Wissen/Fantasiewelt der Bücher hat über den Tod hinaus keinen Bestand
-Maus: Kurzes Leben, Überbringer von Krankheiten, Ernteschädling, Vorratsdieb
→Lebensbedrohung, da Schädling
-Eidechse: „Miniaturdrache“ → Symbol für das Böse
-Libelle: Raubtier
-Schmetterling: Schön, aber doch nur kurze Lebensdauer
Deutung der verschiedenen Blumenarten:
  • Allgemein: Blumen welken zum Teil schon → ihre Schönheit ist vergänglich
  • Weiße Lilie: An ihrem Zweig wird die zeitliche Entwicklung von der Knospe bis zum Verwelken dargestellt → zeitlicher Ablauf des Lebens, mit menschlichem Leben vergleichbar (Altern)
Bedeutung der Lilie: „Madonnen-Lilie“ → Unschuld, Jungfräulichkeit, reine göttliche Liebe
  • Rose: Irdische Liebe
  • Tulpe: Leichtsinn (v.a. im Umgang mit Geld), Spekulation, Verschwendung, Dummheit, Gier (Hintergrund: Tulpenkrise)

  1. Zusammenfassug:
  • Auf der einen Seite Darstellung der angenehmen Seiten des Lebens; Genuss wird mit allen 5 Sinnen angesprochen:
Sehen: Blumen, Tabak, Zitrone, Geige (realitätsgetreue Imitation von Oberflächen)
Riechen: Tabak, Zitrone, Blumen
Fühlen: Durch die präzise Imitation der oberflächlichen Strukturen erhalten die Gegenstände etwas Haptisches (Münzen, Geige, Glas, Schreiben, Fell der Maus, Tabak, Messer)
Schmecken: Tabak, Zitrone
Hören: Klang der Musik
  • Auf der anderen Seite Verbildlichung des Todes (Totenschädel) und Vanitas-Symbolik
Der Tod war im 17.Jhd. besonders präsent und grausam
30-jähriger Krieg (Plünderungen, Vergewaltigungen, Hungersnöte → ständige Bedrohung von Hab und Gut und dem eigenen Leben)
Pest (rasche Ausbreitung während des Krieges; sehr schneller und plötzlicher Tod → Sicherheit, Vertrauen auf Zukunft fehlt)

  • Extremer Kontrast: Ausgiebiger Genuss von Leben und Schönheit, aber auch starkes Bewusstsein für die Bedrohung des Lebens durch den Tod und die Vergänglichkeit
  • Suche nach Trost in der Religion → Verhinderung eines ungebremsten Genusslebens wegen der Sorge um den Einlass in Paradies (nur möglichst sündenfrei möglich)
  • Grundaussage: Wunderbares Leben, das man jedoch nicht festhalten kann, ebenso wie alles Schöne → Man muss es schätzen und auskosten; allerdings sollte man über das eine (großer Genuss), das andere (Vergänglichkeit, Tod, angestrebtes ewiges Leben bei Gott) nicht vergessen
→Kein Hedonismus, da die Regeln und Werte aufgrund des hohen Stellenwertes der Religion und der extremen Bedeutsamkeit eines Lebens im Paradies von Gott gegeben sind


Protokoll: L.Z. 1KU1 2013

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