Samstag, 24. Januar 2015

Die Gotik (1140-1500)


Die Gotik (1140-1500)
als Epoche der europäischen Architektur und Kunst des Mittelalters 
 
1. Überwältigungsarchitektur 
 
Grundsätzlich sprach man seit der Jahrhundertwende von der sogenannten „Überwältigungs-architektur“, die nicht weiter an den grundlegenden Vorstellungen der Zweckarchitektur (=> Kirchen als Schutz vor Feinden oder als nützliche und besonders großräumige Versammlungs-räume) festhielt, sondern diese vielmehr weiterentwickelte, indem sie auch Assoziationen und Beweggründe berücksichtigte und miteinband.
Zu dieser Art von Architektur zählen Bauwerke, die durch ihre außerordentlich spezielle Ge-staltung (Größe, Prunkentfaltung etc.) als Blickfang gelten und damit den Betrachter gänzlich überwältigen sollen. Dazu gehörten früher vor allem Kirchen, Paläste und auch repräsentative bürgerliche Häuser in Großstädten. Aber auch in der heutigen Zeit kann man die Zielsetzungen dieser Architektur noch gut nachvollziehen, wenn man sich beispielsweise das Opernhaus in Sydney, das Museum Bilbao, die riesigen Bürotürme oder auch das Empire State Building vor Augen führt, das durch die vielen Stockwerke und das große Foyer beeindruckend wirken und gleichzeitig die Macht und Bedeutung der einflussreichen Konzerne widerspiegeln soll. 
 
2. Gotische Kathedrale 
 
Gotische Kathedralen dienten in erster Linie der Verbildlichung der christlichen Ideenwelt und gelten heute immer noch als herausragende Kunstschöpfungen. Zudem unterscheiden sie sich äußerlich komplett von romanischen Gotteshäusern und bedienen sich in einem sehr großen Umfang der Allegorie und der Symbolik.
Gerade in dieser Kunstepoche war es besonders wichtig, das innere Erscheinungsbild von den äußerlichen Merkmalen zu trennen, denn es galt folgender Grundsatz:
Man kann niemals ein Gebäude gleichermaßen von innen und außen begutachten, folglich gibt es immer zwei verschiedene Ansichten eines Gebäudes! 
 
INNENANSICHT: 
Extrem ausgeschmückt und überladen (Reizüberflutung, teilweise Desorientierung):
- Zahlreiche bunte, verzierte und breite Fenster, die das eindringende Licht reflektierten
(=> bunte Lichtflecken auf dem Boden und Lichtspiegelungen auf allen hoch polierten Flächen) 
 - Diskrepanz der Wände (Lichtdurchlässigkeit -> Wolke aus buntem Licht) und dünne, fragile Säulen zwischen den breiten Fenstern
- Eine mit Sternenmustern und Ranken bemalte Decke
- Zwischen den Arkaden ausgehängte Teppiche
- Aufwendige geschmückte und mit Juwelen und Gold besetzte Reliquienkästchen

=> Der Betrachter ist somit fester Bestandteil dieser prall gefüllten Schatztruhe und wird in den Mittelpunkt gestellt; der Innenbau der Kathedrale bezieht sich folglich auf den Nutzer mit seinen Bedürfnissen 
 
AUßENANSICHT:
Massiver Steinklotz, aus dem kleinere und auch größere Türmchen herauswachsen
(erinnert an ein „vielfüßiges, gepanzertes Insekt“):
- Gleichartige und durchaus simple Strukturen sowie Formwiederholungen, die oftmals durch Malereien verziert oder durch Türmchen überspielt werden.
- Häufig drei Eingangspforten
- Der verwendete Naturstein erinnert an ein Gebirge mit scharfkantigen Umrissen
- Zahlreiche Stützen (=> Stabilität, Halt des gewaltigen Bauwerkes!)

=> Der Außenbau muss Gegebenheiten (Stadtplanung, Farbgebung, Höhe der Häuser etc.) berücksichtigen, sich mit der direkten Umgebung auseinandersetzen und sich gegebenen-falls an sie anpassen. 
 
2.1 Genaueres zum typischen Aufbau und Baustil 
 
- Kreuzförmiger Grundriss (=> Symbolik!)
- Längsschiff/ Langhaus
= Langgestreckter Bauteil einer Kirche zwischen Fassade und
Querhaus, der für die Gemeinde gedacht war und um den oft
Radialkapellen herumgebaut wurden.
 -Seitenschiffe
= Parallel zur Längsachse verlaufende Raumteile einer Kirche, die
rechts und links vom Mittelschiff durch Säulen oder Pfeilern getrennt
sind.
- Chor
= Ursprünglich war damit ein höherliegender Raumteil gemeint, in
dem die Geistlichen ihren Chorgesang in der Kirche anstimmen konnten. Seit dem 8./9. Jahrhundert wird die gesamte Verlängerung des Mittelschiffs als Chor bezeichnet.
- Apsis
= Meist halbkreisförmiger Abschluss eines rechteckigen Langhauses; ein wichtiger und ausgeschmückter Teil der Kirche, der den für die Gemeinde nicht sichtbaren Altar aufbewahrte und nur von Geistlichen betreten werden durfte.
- Vierung
= Quadratischer oder rechteckiger Raum, der durch die Durchdringung von Langhaus und Querhaus im Kirchenbau entsteht.
- Arkaden
= In einer Reihe auf Pfeilern oder Säulen aufliegende Rundbögen. Arkaden können in einem oder mehreren Etagen übereinander angeordnet sein.
- Fensterform: Spitzbögen (charakteristisches Erkennungsmerkmal für die Gotik)
= Rund oder spitz gewölbte Konstruktion in einer Maueröffnung. Der Bogen bietet die einzige Möglichkeit, um im Steinbau größere Spannweiten zu überbrücken, da er die Last abfängt und auf Stützen verteilt, und wird aus zwei Kreisbögen konstruiert, die sich im Scheitel überschneiden und eine Spitze formen.  
 
2.2 Analyse der Raumwirkung 
 
Diese Analyse ist für alle Gebäudearten verwendbar und lässt sich in vier Aspekte unterteilen: 
1. Funktion
2. Konstruktion
3. anschauliche Wirkung
4. ideelle Bedeutung (Interpretation) 
 
2.2.1 Funktion der Kathedrale 
 
Kathedralen sind große Versammlungsräume, die in erster Linie dem Abhalten von Gottes-diensten dienen und aus diesem Grund auch ausreichend Platz für große Menschenmenge bieten müssen. Gleichermaßen sollen diese prunkvollen Gebäude mithilfe ihrer Größe auch einschüchtern und auf diesem Wege sowohl die uneingeschränkte Macht Gottes als auch gleichzeitig die Nichtigkeit des Menschen zur Geltung bringen, wobei auch stets betont wird, dass derartige gewaltige Bauwerke allein zu Ehren Gottes errichtet wurden.
Allerdings sollte in manchen Fällen auch die Eitelkeit zum Vorschein kommen, die dazu diente, die weltliche Macht zu demonstrieren (=>; repräsentative Funktion der französischen Bischofs-kirche).
Königskirchen trugen zur Verbindung der kirchlichen und weltlichen Macht bei. 
 
Entstehungsgeschichte: 
 
Viele Menschen wollten den Jakobsweg gehen, weil sie sich am Ende des Wallfahrtsweges in Santiago de Compostela die Vergebung ihrer Sünden oder die Befreiung von ihren Krankheiten erhofften. Da sich demnach die Pilgerströme aus ganz Europa immer mehr verstärkten und sich der Andrang vergrößerte, setzte eine völkerwanderungsähnliche Bewegung nach Spanien ein, was dann wiederum gleichzeitig zur Folge hatte, dass die Kirchen entlang des Weges die Menschenströme kanalisieren musste, um jedem Pilger die Gelegenheit zur Andacht und zum Gebet zu geben.
 => „Kathedralen als Massenabfertigung für Pilger“
Da unter den Pilgern auch Handwerker und Baumeister waren, wurden die Bautechnik und das Baukonzept schließlich übernommen und in ganz Europa verbreitet.
=> Ausweitung der Gotik 
 
2.2.2 Konstruktion 
 
Grundlegender Aufbau der Wände:
ARKADENZONE – TRIFORIENZONE - FENSTERZONE
Der Glieder- und Skelettbau gilt als form- und funktionsgebendes „Knochengerüst“ und ist der Träger der Lasten des ganzen Systems. Essentiell wichtig sind:
- Strebewerk: Skelettbauweise, die besonders für den gotischen Kirchenbau typisch ist. Das Strebewerk dient der Verteilung der Schubkräfte von Dach und Gewölbe.
- Strebepfeiler: Die Strebepfeiler dienen zur Verstärkung hoher Mauern und zur Ableitung von Schubkräften. Sie steigen entweder an den Außenmauern empor oder sie überragen die Seitenschiffe und sind über deren Dächer hinweg durch Strebebögen verbunden.
- Strebebögen: Bögen zur Ableitung von Schubkräften 
 
Der innere Halt und die Stabilität des Gebäudes wird durch folgende Bauelemente gewähr-leistet:
- Bündelpfeiler: Gruppe von kleinen und großen Dreiviertelsäulen (Dienste), die um einen Pfeilerkern angeordnet sind.
- Rippen: Konstruktionsteil eines gotischen Gewölbes, bzw. Skelett, über dem die nichttragenden Füllungen aufgemauert sind.

Die gebogene und meist aus keilförmigen Steinen zusammengesetzte Decke wird als Gewölbe bezeichnet. 
 
2.2.3 Anschauliche Wirkung 
 
Aufgrund der unvorstellbaren Höhe sollte sich der Mensch bedeutungslos und klein vorkom-men und gleichermaßen erkennen, dass eine enge Verbindung zum Himmelsreich besteht. Zudem war es auch erstaunlich, wie diese Konstruktion überhaupt halten kann, da die Wände aufgrund der zahlreichen Glasfenster förmlich einem „Spitzendeckchen“ glichen und daher nicht besonders stabil und auf das Tragen von Lasten ausgelegt waren. Man hatte auch den Eindruck, dass die schwere Decke schwebt, und jedem Besucher wurde es durch das Durchwandern dieser Pracht ermöglicht, die Herrlichkeit Gottes zu erleben. Da auch die Raumgrenzen völlig aufgelöst wurden (-> Diaphanie), herrschte in dem Raum eine physische Unbestimmtheit vor, die zur Verunsicherung des Menschen führte. Des Weiteren sollte der Lichteinfall durch die bunten Glasfenster den Betrachter an das mystische Himmelslicht erinnern. Das Deckengewölbe mit seinen gekreuzten Rippen glich einem Baldachin (= dach-artiger Aufbau über einem Kultobjekt oder einer Statue). 
 
2.2.4 ideelle Bedeutung 
 
- Lichtmetaphorik: Licht als Metaher für Überirdisches =>; Erleuchtungserkenntnis
- Verwendung von Gold => wertvolles Metall, Glanz
- Abbild des heiligen Jerusalems => zweites Paradies

Protokoll: C.H.

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